Ein persönliches Erlebnis
Kürzlich hatte ich ein Gespräch, das mich seitdem immer wieder beschäftigt. Der Inhaber eines kleinen Handwerksbetriebs schilderte mir seine Sicht auf den Alltag als Chef – und ehrlich gesagt, es
war eine Perspektive, über die ich viel zu selten nachdenke. Es ging um Wertschätzung. Nicht um die, die sich Mitarbeitende oder die Kundschaft wünscht, sondern die Wertschätzung als Chef.
Der Inhaber erzählte mir, wie er sich mehr Anerkennung von seinen Mitarbeitenden wünschen würde. „Alles scheint inzwischen selbstverständlich zu sein“, sagte er. Er sprach von flexiblen
Arbeitszeiten, wenn das Kind krank ist, Sonderurlaub, Bonizahlungen und mindestens zwei Firmenfeiern pro Jahr – sogar mit Partner oder Partnerin.
Dazu kommen Geschenke zum Geburtstag, Jubiläen und zu Weihnachten. Doch das scheint kaum noch anzukommen. „Wenn ich einen größeren neuen Kunden für uns gewinne, wird das mit einem 'wann sollen
wir denn das noch machen?!' kommentiert.“ Dabei sichere das doch Arbeitsplätze, die Zukunft des Betriebs und mache die Zahlung von Gratifikationen erst möglich.
Ist mal Not am Mann bzw. der Frau, z.B. bei Krankheitsfällen, „fällt dennoch pünktlich der Stift“. Die Bereitschaft, „mal eine halbe Stunde länger zu machen“, weil eine Terminzusage eingehalten
werden muss, sei nicht wirklich vorhanden. Obwohl er Überstunden natürlich vergüte.
Die Enttäuschung in seiner Stimme konnte ich förmlich spüren.
Wie oft hören wir von den Erwartungen, die Mitarbeitende an ihre Vorgesetzten haben, aber wie selten denken wir daran, dass auch Chefs und Chefinnen Anerkennung brauchen? Für viele von uns sind
flexibles Arbeiten, Benefits und überdurchschnittliche Gehälter inzwischen fast normal. Doch denken wir manchmal nicht daran, dass hinter all diesen Vorteilen Menschen stehen, die ebenfalls dafür
arbeiten - manchmal auch kämpfen müssen und die unternehmerischen Risiken tragen.
Der Inhaber schilderte, wie die Gehaltsvorstellungen einiger Mitarbeitenden inzwischen eine echte Belastung für den Betrieb darstellen. „Ich bezahle überdurchschnittlich, hinzu kommen eben all
die Extras, die gerne mal vergessen werden. Wenn ich dann nach einem Gespräch mit dem Steuerberater erklären muss, dass noch mehr nicht drin ist, ist die Stimmung im Keller. Manchmal folgt am
nächsten Tag die Krankmeldung, es wird vorzeitig Feierabend gemacht oder erwähnt, dass ein Mitbewerber bereits ein gutes Angebot gemacht habe.“
Es klang fast, als würde er sich unter Druck gesetzt fühlen. Und das in einer Zeit, in der Fachkräfte rar sind. „Handwerker und Handwerkerinnen wachsen ja nicht auf Bäumen“, fügte er hinzu.
Der Fachkräftemangel trifft viele Branchen, aber gerade kleine Betriebe sind davon besonders betroffen. Sie kämpfen um ihre Existenz – und um die Loyalität ihrer Mitarbeitenden.
Als ich nach dem Gespräch nach Hause fuhr, ging mir eine Frage nicht aus dem Kopf: wann haben wir aufgehört, die Arbeit derjenigen zu schätzen, die uns den Rahmen für unser eigenes berufliches
Wohl schaffen? Natürlich haben Chefs eine Verantwortung und natürlich gibt es Betriebe, in denen der Umgang mit Mitarbeitenden alles andere als wertschätzend ist. Aber es ist ein Geben und
Nehmen. Wenn wir nur fordern, aber nie zurückgeben – sei es durch Worte, Gesten oder einfach ein „Danke“ – dann schaffen wir eine Atmosphäre, in der letztlich keiner wirklich glücklich sein
kann.
Führungskräfte haben es oft auch nicht leicht. Sie jonglieren Erwartungen, die nicht immer leicht zu erfüllen sind. Und manchmal brauchen sie einfach ein kleines Zeichen, dass auch ihre Mühen
gesehen werden. Wertschätzung ist keine Einbahnstraße – das wurde mir durch dieses Gespräch wieder einmal bewusst.
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